Die Vorgeschichte
Die Vorgeschichte
In „Himmlers Forscher“ wird unter anderem untersucht, wie die SS-Wissenschaftseinrichtung Ahnenerbe fast ohne den Einsatz eigener Mittel hochwertigste Liegenschaften in seinen Besitz brachte. Dabei fiel auf, dass in Berlin-Dahlem beinahe ein ganzes Straßenkarree durch das Ahnenerbe genutzt wurde. Dieses umschließt eine prächtige Villa, die das Ahnenerbe nicht an sich bringen könnte. Diese Villa gehörte einem Fördernden Mitglied der SS mit besten Verbindungen zur SS-Spitze. Dieser hatte sie 1933 vom vermögenden jüdischen Kaufmann Hugo Heymann und seiner Frau Maria erworben. Heymann hatte sein Vermögen mit der Herstellung künstlicher Perlen aus Fischsilber gemacht. In der Öffentlichkeit wurde bereits deutlich vor 1933 kommuniziert, wie die NSDAP mit vermögenden Juden verfahren würde, wenn sie an die Macht käme. Schon vor 1933 „hatte die Feindschaft gegen die Juden […] einen Grad angenommen, der für sie höchst gefährlich war“ , so urteilte Carl-Hermann Ebbinghaus.
Dieser Gefahr wollte Hugo Heymann entfliehen. So verschiffte er Nachkriegsaussagen zufolge im Herbst 1932 eine Fabrikeinrichtung für Fischsilberperlenproduktion nach Stavanger in Norwegen. Gleichzeitig begann Heymann Ende 1932 einen Käufer für seine Villa in Berlin Dahlem zu suchen. Im Februar 1933 wurde die Liegenschaft in der Pücklerstraße 14 an den Verleger Waldemar Gerber veräußert. Dieser stützte mit seinem Verlagshaus die Propaganda des NS-Regimes und unterhielt gute Verbindungen zur SS-Spitze. Möglicherweise lag hier der Grund, weshalb Ahnenerbe-Geschäftsführer Wolfram Sievers keinen Versuch unternahm, sein Areal in Dahlem auch auf diese Liegenschaft auszudehnen.
Hugo Heymann verstarb nach Gestapo-Verhören, bevor er Deutschland verlassen konnte. Seine Witwe versuchte nach dem Kriege, die Villa gegen Erstattung des sehr niedrigen Kaufpreises zurück zu erhalten. Mit geradezu zynischen Begründungen verweigerten die Gerichte ihr dies. Zwischenzeitlich sind sämtliche Rechtsansprüche auf eine Entschädigung verjährt. Mit Blick auf das vergleichbare Recht bei Restitution im Bereich Kunstgegenstände sollte unter anderem gefragt werden, inwieweit es sich um einen normalen Verkauf handelte, der auch erfolgt wäre wenn die Nationalsozialisten nicht die Regierungsgewalt übernommen hätten. Dies kann nach derzeitigem Forschungsstand in Bezug auf die Villa von Hugo Heymann verneint werden.
Waldemar Gerbers Nachfahren verkauften die Liegenschaft an den Staat. Heute ist sie Dienstvilla des Bundespräsidenten. In Himmlers Forscher wird diese Sachlage am Rande erwähnt. Meinungs- und Wissenschafsfreiheit sind ein hohes Gut, das Höflichkeit und Repekt nicht ausschließt. Aus eben jenem Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten folgte eine Kontaktaufnahme mit dessen Administration. Es folgte im März 2014 ein Termin im Bundespräsidialamt, wo ich auf höchster Ebene freundlich empfangen wurde. Dabei regte ich an, dass die Geschichte des Areals auf einer sogenannten Berliner Stele wissenschaftlich eingeordnet werden sollte. Zudem hielt ich einen Stolperstein für den ermordeten Hugo Heymann für angemessen. Die Beamtin des Bundespräsidialamtes beschied mir, im Nachhinein auch schriftlich, dass man seit 1999 die Geschichte des Hauses kenne und mir viel Erfolg mit dem Buch wünsche.
Einige Zeit später wurde nach einem Dialog des Bundespräsidialamtes mit der Berliner Stolperstein-Initiative die Verlegung von Stolpersteinen für Hugo Heymann abgesagt.
Wie sich viel später herausstellte, hatte das Präsidialamt den renommierten Historiker Professor Dr. Michael Wildt im Juni 2016 beauftragt, die im Rahmen der von mir vorgelegten Forschungsergebnisse thematisierte Eigentumsübertragung von Heymann auf Gerber und das Schicksal der Familie Heymann nach 1933 gutachterlich zu bewerten. gutachterlich zu bewerten.
Die Rezension von Dr. Sören Flachowsky
Die Rezension von Dr. Sören Flachowsky
Ebenfalls im Juni 2016 erschien auf der Internetplattform H-Soz-Kult eine Rezension des Buches Himmlers Forscher von Sören Flachowsky. Der Mitarbeiter am Lehrstuhl „Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus“ an der Humboldt Universität zu Berlin ist. Der vom Präsidialamt beauftragte Gutachter Wildt ist wiederum der Vorgesetzte und Lehrstuhlinhaber des Rezensenten Sören Flachowsky. Der Rezensent fand einige Punkte des Buches gar nicht gut. Und das ist völlig in Ordnung. Gerade das starke Übergewicht der bis dahin erschienenen positiven und sehr positiven Rezensionen lässt dies verschmerzen.
Was jedoch manchen Beobachter wunderte: Die renommierte Plattform H-Soz-Kult ließ die eingereichte Rezension vom zuständigen Fachredakteur unabhängig prüfen. Dieser unabhängige Fachredakteur war jedoch der Dienstvorgesetzte Flachowskys – Michael Wildt. Wildt gab dann die Rezension zur Publizierung frei, die nicht nur seinen Gutachtengegenstand negativ bewertete, sondern objektive Unwahrheiten enthielt.
Eine der Falschbehauptungen bildet der Satz in der Rezension: „Sievers war auch kein ‚weit über das Ahnenerbe hinaus mächtiger Wissenschaftsmanager‘“ (S. 41).
Dem ist eine Einschätzung aus der Publikation eines ausgewiesenen Experten für die Wissenschaftsgeschichte des Nationalsozialismus entgegenzusetzen. In der Deutschen Biographie heißt es zu Wolfram Sievers: „Mit Hilfe seiner zahlreichen Funktionen verstand es S., das „Ahnenerbe“ zu einer weit verzweigten Organisation mit über vierzig wissenschaftlichen Abteilungen auszubauen, und der SS auf diese Weise Einfluß im NS-Forschungsbetrieb zu sichern.“ Der Autor dieser Feststellung, dass Sievers‘ Einfluss über die SS hinaus reichte, auch auf den SS-Forschungsbetrieb, ist Sören Flachowsky.
Möglicherweise ist es altmodisch – doch nachdem in der Rezension auf rund drei Seiten Text gleich beinahe ein Dutzend Falschbehauptungen zu lesen waren, konnte nach meiner Einschätzung nur ein Missverständnis vorliegen oder die nicht seltene Situation, dass der Rezensent das Buch nicht (vollständig) gelesen hatte. Nun aber gleich eine öffentliche Replik zu publizieren und dem Autor objektiv grobe Fehler nachzuweisen, schien mir ebenso unhöflich, wie unnötig eskalierend. Daher suchte ich vor Publizierung der bereits konzipierten Replik Kontakt zum Rezensenten. Der Herausgeber von H-Soz-Kult, Rüdiger Hohls, erhielt die E-mail in Kopie, verbunden mit der Bitte um Vermittlung eines wissenschaftlichen Dialoges. Beide Adressaten haben bis heute, Jahre nach meiner Bitte um Dialog als Grundlage akademischen Diskurses nicht geantwortet. Deshalb – und insbesondere aufgrund der der anschließenden Ereignisse – möchte ich nun diesen Rahmen nutzen, um öffentlich zu replizieren.
Vorgenanntes zeigt eine von Missverständnissen, Fehlern und dem Widersprechen eigener Forschungsergebnisse getragene Bewertung Flachowskys. Kenner der Materie erkennen diese rasch. All das mag im Rahmen von Rezension und Replik, dem üblichen akademischen Diskurs diskutiert werden. So lange die Quellen eine eindeutige Beurteilung zulassen, ist der öffentliche Erregungsfaktor über solche Details, die nur für sehr wenige Menschen im deutschsprachigen Veröffentlichungsraum des Buches relevant sind, wohl eher recht niedrig.
In wissenschaftlicher und rechtlicher Hinsicht besonders misslich sind hingegen folgende Einschätzungen in der Rezension von Sören Flachowsky:
„[…] Bei der Betrachtung der Abteilungen von August Hirt und Sigmund Rascher verzichtet Reitzenstein mit Blick auf die Forschungslage auf eine Darstellung der Verbrechen, was aber angebracht gewesen wäre.“
Kein Zweifel – schon die Empathie mit den Opfern macht es angebracht, diese grausamen Verbrechen des NS-Regimes ans Licht zu holen: In Himmlers Forscher ist nachzulesen, dass die genannten Kapitel beinahe ausschließlich die Schilderung der grausamen und unmenschlichen Verbrechen zum Gegenstand haben. So werden jene beiden Abteilungen vorgestellt, in denen die Humanversuche im Institut stattfanden. In ihnen werden die Leiden der Opfer spürbar, was die Grundlage der Einschätzung im Fazit des Buches ist: Der unzweifelhaft verbrecherische Charakter des untersuchten Instituts.
Des Weiteren vermag der Rezensent bei dem Leser den Eindruck erweckt, dass der Autor NS-Verbrecher relativiere und gleichzeitig die Leiden der Opfer gänzlich unerwähnt lässt. Ein solcher Eindruck ist alles andere als folgenlos. Insbesondere, wenn der Rezensent dem Leser den Eindruck vermittelt, dass der Autor lediglich „ungewollt“ auch zu korrekten Ergebnissen gekommen sei.
Ein jeder Leser mag prüfen, wie mit jemandem umgeht, der „unter Verdacht“ steht, Relativierung von NS-Verbrechern bei gleichzeitigem Verschweigen des verbrecherischen Charakters der von diesen verantworteten Menschenversuche zu betreiben.
Daher sah ich mich gezwungen aufgrund des Ausbleibens einer Antwort, an diesem Punkt einen Rechtsanwalt einzuschalten. Doch auch auf dessen Schreiben vom 30.06.2016 reagierte Herr Flachowsky ebenfalls nicht. Dies Schreiben betonte mein Bedauern, statt Annahme von Dialogofferten überhaupt einen Anwalt bemühen zu müssen und drückte meine Hoffnung aus, „dass die Angelegenheit auf diesem Wege geklärt werden kann“ und keine gerichtliche Hilfe benötigt werde.
Herr Flachowsky reagierte nicht, womit er die Einigung ablehnte und auf der Verbreitung des Satzes beharrte, den der Herausgeber, Rüdiger Hohls später als unwahr qualifizierte.
Auf anwaltlichen Rat wurde daher zunächst bei der zuständigen Pressekammer des Landgerichts Hamburg der Antrag gestellt, erst einmal nur eine der von mir als problematisch angesehenen Behauptungen wegen erwiesener Unwahrheit im Wege der Einstweiligen Verfügung zu untersagen. Das Landgericht prüfte den Sachverhalt sorgfältig, ließ sich das Buch vorlegen und gab dem Antrag statt. Es untersagte Herrn Flachowsky am 27.07.2016, weiterhin zu behaupten:
„Bei der Betrachtung der Abteilungen von August Hirt und Sigmund Rascher verzichtet Reitzenstein mit Blick auf die Forschungslage auf eine Darstellung der Verbrechen.“
Zudem sah das Landgericht den laufenden Schaden durch diese Behauptung als so gravierend an, dass es wegen Dringlichkeit gleich einen Beschluss erlies, ohne Herrn Flachowsky anzuhören. Die rechtliche Hürde für solch ein Verfahren liegt sehr hoch. Juristen erklären, dass die gegenständlichen Behauptungen sowohl unwahr, als auch ehrverletzend sein müssen, um mit einer gerichtlichen Entscheidung die Interessen des Antragstellers über die Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit stellen zu können.
Herr Flachowsky verzichtete auf einen Widerspruch gegen die Verfügung und damit die Möglichkeit, der Kammer seine Argumente darzulegen. Die Anerkennung der Verfügung seitens Herrn Flachowsky folgte somit am 20.08.2016.
Kurz darauf war auf H-Soz-Kult zu lesen, dass ich auf eine Replik ausdrücklich verzichtet habe. Dies war jedoch schlicht unwahr. Kurz nachdem die Plattform damit konfrontiert wurde, nahm sie die gesamte Rezension offline, obwohl dies nie verlangt worden war. Es war bedauerlich, dass so beharrlich jeder akademische Diskurs verweigert und durch offline nehmen schließlich ganz verhindert wurde.
Am 20.02.2017 erschien auf H-Soz-Kult eine Paraphrase der Rezension Flachowskys von Michael Wildt und Rüdiger Hohls, flankiert von einem begleitenden Artikel. Die Paraphrase wiederholt die Kritikpunkte der Rezension Flachowskys, oft jedoch erkennbar abgemildert und um Differenzierung bemüht. Nichtsdestotrotz argumentieren beide Professoren am Buch vorbei. Da weder Prof. Wildt noch Prof. Hohls bis zum heutigen Tage auf meine Dialogsuche reagiert haben, möchte wie, wie zuvor, diesen Rahmen nutzen um erneut öffentlich zu replizieren.
Kontroverse um das Gutachten von Prof. Wildt
Kontroverse um das Gutachten von Prof. Wildt
Wie sich viel später herausstellte, hatte das Präsidialamt den Historiker Michael Wildt (Humboldt-Universität Berlin) im Juni 2016 mit der Anfertigung eines Gutachtens beauftragt. Es ist erfreulich, dass das Amt sich auf diese Weise mit jenen neuen Erkenntnissen über die Villa auseinandersetzen wollte, von denen es 2014 durch deren Publizierung in „Himmlers Forscher“ erfahren hatte.
Im August 2017 gab es zahlreiche Medienberichte zur Vorgeschichte der Dienstvilla und der Existenz eines Gutachtens zur Vorgeschichte der Villa sowie des Schicksals der Familie Heymann. Nachdem der neue Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von dem Sachverhalt erfahren hatte, war ihm klar, dass nur Transparenz der einzig denkbare Weg sein könne. Deshalb publizierte er das Gutachten im August 2017 und teilte den Medien mit, dass seine Frau und er erst in die Villa ziehen werden, wenn eine Verständigung über ein angemessenes Gedenken hergestellt worden sein würde.
Historiker haben über das Gutachten und seine Qualität gewiss rasch ein eigenes Urteil, daher sei es hier nur in groben Zügen widergegeben. Die wesentlichen Quellen für ein Gutachten zur beauftragten Fragestellung wurden entweder gar nicht erwähnt oder aber „aus Zeitgründen“ nicht eingesehen. Man konnte lesen, dass Gutachter Wildt der einen Zeugin mehr glaubt, als der anderen. Dabei glaubt man, bei wissenschaftlichen Gutachten ginge es um Wissen und nicht um Glauben. Im Ergebnis verneint das Gutachten das Vorliegen eines verfolgungsbedingten Vermögensentzuges, um den entsprechenden Rechtsterminus zu benutzen. Lediglich aus pädagogischen Gründen wäre ein Gedenkort an der Villa zu bejahen. Juristen mögen erstaunt sein, dass das Gutachten zu diesem Ergebnis kommt, ohne sich auch nur in einer Zeile mit den Rechtsnormen verfolgungsbedingten Vermögensentzuges aufzuhalten. Das recht positivistische Gutachten hat eine weitere bemerkenswerte Eigenheit: Weder ein Historiker, noch sonst ein Experte für die zahlreichen untersuchten Sachverhalte – Immobilienbewertung, Rechtsgeschichte (insbesondere des Steuerrechts, Wirtschaftsrechts, Strafrechts, Handelsrechts, Gesellschaftsrechts, Notarrechts und insbesondere Restitutionsrechts, etc.), Produktion von Kunstperlen, etc. – wurde zitiert.
Nur eine einzige Ausnahme ließ das Gutachten zu: Es zitierte aus Himmlers Forscher und thematisiert ein vom Gutachter festgestellte unseriöses Vorgehen in Bezug auf den Notar Georg Lehmann, der den Verkauf von Gerbers Villa beurkundete. Dieser Notar ist ein wichtiger Zeuge in der Restitutionsklage von Heymanns Witwe nach dem Kriege. Im Gutachten wird er jedoch auf Seite 17 zunächst als Jorge Lehmann vorgestellt. Der Leser kommt aber von alleine darauf, dass es sich um den Rechtsanwalt und Notar Dr. Georg Lehmann handeln muss. Das Gutachten bewertet die Rolle Lehmanns und damit seine Glaubwürdigkeit. Dies ist deshalb ein so zentraler Punkt, da es die Frage behandelt, ob die Beurkundung des Verkaufs überhaupt rechtswirksam erfolgte. Zudem muss geklärt werden, ob der Notar ein Rechtsgeschäft beurkundete, dass Heymann ohne die Machtübernahme der Nationalsozialisten ohnehin vorgenommen hatte, um auf die oben genannten rechtlichen Sachverhalte zu verweisen. Doch das Gutachten baut an diesem zentralen Punkt zur Beantwortung der Gutachtenfrage nur auf einem einzigen Dokument auf, einem zweiseitigen Brief Lehmanns an Gerber. Lehmann war in Buenos Aires nach dem Kriege unter anderem damit befasst, für die Deutsche Botschaft das Verhältnis zu den ca. 50.000 nach Argentinien emigrierten Juden zu pflegen. Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes sind entsprechende Unterlagen zu finden, die einiges über Lehmann und seine Glaubwürdigkeit aussagen. In den Archivalien zu Gerbers Entnazifizierungsverfahren, sowohl im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde, als auch im Landesarchiv Potsdam sind zahlreiche Hinweise darauf zu finden, wie Gerber mit der NSDAP und ihren Repräsentanten verbunden war. In diesem Zusammenhang ist ein Brief bemerkenswert, den Georg Lehmann am 2. Dezember 1946 an Gerbers ehemaligen Partner Günther Dreyer schrieb, sehr aufschlussreich. Dreyer war der Gesellschafter, den Himmler aus Gerbers Unternehmen entfernt sehen wollte. Weshalb all diese Archivalien, rund eine Fahrstunde vom Dienstsitz des Gutachters gelegen, nicht berücksichtigt wurden, muss andernorts geklärt werden. Der genannte zweiseitige Brief Lehmanns an Gerber vom 17. Dezember 1949, die einzige Quelle zu diesem zentralen Punkt im Gutachten, enthält wichtige Details: Lehmann lässt freimütig wissen, dass er beim Verkauf nicht nur als Notar beteiligt war, sondern „dass ich faktisch nicht nur den Vertrag protokolliert, sondern als Ihr langjähriger Berater auch an den Verhandlungen vor Abschluss des Vertrages mit Dreyer und Markiewicz teilgenommen habe“. Markiewicz war der Makler, der Heymanns Villa auf den Markt brachte. Es wäre zu diskutieren, ob durch das anwaltliche Handeln Lehmanns für den verreisten Gerber und dessen Bevollmächtigen Dreyer die notarielle Neutralitätspflicht verletzt wurde und inwieweit die Beurkundung dadurch anfechtbar gewesen wäre. Doch das Gutachten lenkt den Fokus stattdessen auf andere Felder. Es wird festgehalten, dass Gerber gar keinen Druck auf Heymann habe ausüben können, da er ja zum Verkaufszeitpunkt verreist gewesen sei.
Das Gutachten holt nun mit großer Geste gegen Himmlers Forscher aus. Denn Lehmann bescheinigte in diesem Brief an Gerber, der ihm über längere Zeit Honoraransprüche bescherte, dass er selbst Jude sei. Als solcher habe er nie an Verkäufen unter Zwang mitgewirkt. Zwar hat auch niemand behauptet, dass Gerber Heymann gezwungen habe zu verkaufen – der Begriff des Zwanges dürfte dem promovierten Juristen Lehmann wohl bekannt gewesen sein – aber für den Gutachter ist diese Bemerkung offenbar eine große Entdeckung. Insoweit hält er sich gar nicht erst mit der Überprüfung dieser Information auf und kommt gleich zur Sache, deren Argumentation jener in Sören Flachowskys Rezension ähnelt: Es wird unterstellt, es stehe eine Unterstellung in Himmlers Forscher, um diese dann zu kritisieren. Dass die Unterstellung gar nicht im Buch steht, bleibt unerwähnt.
„Der Historiker Julien Reitzenstein unterstellt […] er [Lehmann] sei Nationalsozialist und in entsprechende Verbrechen verstrickt gewesen. Diesen Schluss legen zumindest die zitierte, sarkastische Formulierung Reitzensteins sowie eine Bemerkung einige Zeilen weiter unten nahe, die Zeugen Gerbers hätten „mutmaßlich[en]“ eine „nationalsozialistische[n] Vergangenheit“.“
Der von mir im Buch stehende Originalsatz lautet:
„Alle Indizien in den Quellen legen – unabhängig von Stichtagsregelungen – das Vorliegen einer sogenannten verfolgungsbedingten Enteignung nahe, doch in einem rechtsstaatlichen Prozess ist entgegen der Aussagen zweier Zeugen eines Beklagten – trotz deren mutmaßlichen nationalsozialistischen Vergangenheit – kein Urteil zu fällen, wenn die Klägerin keine Zeugen und keine unzweifelhaften Beweise hat.“
Nirgendwo schrieb ich, dass Lehmann Nationalsozialist gewesen sei. Der Unterschied zwischen Nahelegen und Unterstellen braucht hier ebenso wenig Erörterung, wie dass „mutmaßlich“ keine Tatsachenbehauptung ist. Wenn ein verfolgungsbedingter Vermögensentzug vorliegen sollte, muss geprüft werden, ob ein justiziables Verhalten des Notars vorliegt, der den Käufer gleichzeitig beriet, als auch als Notar zur Neutralität verpflichtet war. Es wäre durch entsprechend qualifizierte Rechtsexperten zu prüfen, inwieweit die Umstände die Wirksamkeit des Verkaufs beeinträchtigten.
Es wird niemand erwarten, dass ein Historiker als Gutachter alle Rechtssachverhalte erkennt und einordnete. Nur, dass er sachkundige Juristen befragt, sollte erwartet werden dürfen. Vielleicht sollte noch erwartet werden dürfen, dass ein habilitierter Professor korrekt zitiert. Es ist zu vermuten, dass nie vorgesehen war, dass das Gutachten öffentlich wird.
Bei korrekter Untersuchung der Verkaufsumstände wäre dem Gutachter rasch aufgefallen, dass es im Beurkundungsjahr in Berlin zwei Rechtsanwälte mit Notarfunktion gab, die beide Dr. Georg Lehmann hießen. Beide waren Juden. Bei beiden ist nicht unwahrscheinlich, dass es Akten aus Verfahren nach dem Bundesrückerstattungsgesetz und Bundesentschädigungsgesetz gibt, die erhebliches Licht in die Beurkundungsumstände desjenigen Georg Lehmann bringen, der den Verkauf von Heymanns Villa beriet und gleichzeitig als Notar beurkundete.
Möglicherweise war es dem Gutachter auch nicht wichtig, wer denn nun genau beurkundet hat. Unter Juristen wäre es ein Skandal, wenn ein Notar eine Partei vor dem Verkauf anwaltlich berät und dann als scheinbar neutraler Notar beurkundet. Unter Historikern ist es möglicherweise kein Skandal, wenn ein Professor als Fachredakteur einen Angriff des eigenen Mitarbeiters mittels unwahrer Tatsachenbehauptungen gegen ein Buch ermöglicht, dessen Ergebnis er als scheinbar neutraler Gutachter bewertet.
In der WELT schrieb Sven-Felix Kellerhoff am 23.08.2017:
„Das Staatsoberhaupt Deutschlands sollte nicht in einem Haus wohnen, dessen Eigentumsverhältnisse im Dritten Reich zumindest zweifelhaft sind. „Bevor ich die Wohnung in der Dienstvilla nutze, werde ich sicherstellen, dass eine Verständigung über ein angemessenes Gedenken hergestellt ist“, sagte denn auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem Magazin „Der Spiegel“. (…) Was genau der Bundespräsident mit „angemessenem Gedenken“ meint, wird in Kürze bekannt gegeben werden. (…)
Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors und ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin, kritisierte die „Peinlichkeit dieses Diskurses“, von der das Bundespräsidialamt „so lange nicht erlöst“ werde, „wie vor der Dienstvilla nicht ernsthaft an Hugo Heymann erinnert wird“. (…) Historiker Michael Wildt teilte auf Anfrage der WELT mit, er habe dem „umfassenden Forschungsbericht“ an das Präsidialamt „nichts hinzuzufügen“. Zumindest zur NS-Verstrickung von Waldemar Gerber und beim Bundesamt für offene Vermögensfragen aber wird er deutlich nacharbeiten müssen.“
Einige Zeit später ließ das Bundespräsidialamt wissen, dass Michael Wildt zur Nacharbeit aufgefordert worden sei. Das neue Gutachten solle bis Ende Dezember 2017 vorliegen. Anschließend solle die Bundeszentrale für politische Bildung sich der Geschichte der Dienstvilla des Bundespräsidenten annehmen.
Im September 2017 hatte ich Michael Wildt angeboten, die Vergangenheit ruhen zu lassen und das gemeinsame Wissen zu bündeln, denn schließlich ginge es ja nicht um Historiker und ihre Querelen, sondern um ein Opfer des nationalsozialistischen Regimes, Hugo Heymann. Auch auf diese Dialogofferte erhielt ich keine Antwort.