Am 20.02.2017 erschien auf H-Soz-Kult eine Paraphrase der Rezension Flachowskys von Michael Wildt und Rüdiger Hohls, flankiert von einem begleitenden Artikel. Die Paraphrase wiederholt die Kritikpunkte der Rezension Sören Flachowskys, oft jedoch erkennbar abgemildert und um Differenzierung bemüht. Erwähnenswert sind folgende Ergänzungen der beiden Autoren der Paraphrase:
1. „Und der Befund, dass mit dem Ausscheiden von Sigmund Rascher aus dem Ahnenerbe „keine letal angelegten oder besonders grausamen Versuche“ (S. 223) im IWZ dokumentiert seien, muss nicht zwingend mit der Person Sievers‘ zusammenhängen. Denn Himmler hatte am 15. Mai 1944 verfügt, dass ärztliche Versuche, welche in Konzentrationslagern durchgeführt werden, mit sofortiger Wirkung ausnahmslos seiner persönlichen Genehmigung bedürften, was Sievers‘ autonomes Handeln weitgehend eingeschränkt habe.“
Damit haben die beiden Professoren durchaus recht – aber dieser Hinweis geht an der Sache vorbei: Noch am 15.04.1944 hatte Himmlers Büro an den Reichsarzt-SS geschrieben: „Inzwischen hat sich herausgestellt, daß SS-Hauptsturmführer Dr. Plötner geeignet ist, sämtliche von SS-Hauptsturmführer Dr. Rascher in die Wege geleiteten Forschungen und Versuche weiter zu führen. Der Reichsführer-SS ist damit einverstanden, und bittet Sie, entsprechendes zu veranlassen.“ (S. 217). Wie weiter im Buch gezeigt, legte Himmler auch weit über den 15. Mai 1944 hinaus Wert auf diese Umsetzung. Dennoch unternahmen weder Plötner, noch Sievers irgendwelche Anstalten, Raschers unmenschliche Unterdruck- oder Unterkühlungsversuche weiterzuführen.
2. „Einzelne Abschnitte ähneln eher einer chronologischen Zusammenschau von Briefen, Telefonaten, Tagebuchauszügen, Dienstreisen, Besprechungen usw., was 2.350 Anmerkungen im umfänglichen Endnotenteil zur Folge hat. Deshalb sowie wegen der ungewöhnlichen Kapiteleinteilung, der Redundanzen und Rechtschreibfehler wäre ein formales und inhaltliches Lektorat seitens des Verlages hilfreich gewesen.“
Der eingangs erwähnte Anspruch des Buches, vorrangig ein Kompendium von Quellen zu sein ist ein Konzept, dass man ablehnen kann oder begrüßen. Aufgrund des Anspruchs, dass der Leser sich ohne Lektüre des gesamten Buches auch zu einzelnen Abteilungen und zu einzelnen Tätern ein Bild verschaffen können soll, führt naturgemäß zu Redundanzen. Insofern schreiben die beiden Professoren nichts Falsches. Der nächstliegende Schritt der Bewertung bleibt jedoch aus: Ist ein beanstandeter Sachverhalt als Unvermögen zu beklagen oder ist er Teil eines bewusst gewählten Konzeptes, das überzeugen mag oder auch nicht. Dass eine Historiographie jedoch historiographisch aufgebaut ist, kann kaum verwundern. Verwundern kann allenfalls eine ohne nähere Erläuterung stehende Kritik an der Kapiteleinteilung. Den Leser der Paraphrase hätte möglicherweise interessiert, was denn genau an der Kapiteleinteilung ungewöhnlich ist. Dem Autor die Qualität des Lektorates eines Verlages vorzuwerfen, in dem der Kritiker selbst publiziert, lädt allerdings in vielerlei Hinsicht zu Spekulationen ein.
3. Die Professoren Hohls und Wildt schreiben in der Paraphrase: „Nach unserer Einschätzung entbehrt Reitzensteins gerichtliches Vorgehen gegen den Rezensenten jeder wissenschaftlichen Grundlage. Über die vorstehend angeführten Kritikpunkte an der Studie Reitzensteins sollte es möglich sein, sich im Rahmen eines wissenschaftlichen Dialoges auseinanderzusetzen.“
Der promovierte Jurist und Journalist Jochen Zenthöfer schrieb in einer großen deutschen Tageszeitung: „Nachdem diese Zeitung am 22.02.2017 über diesen Fall berichtete hatte, teilte uns Rüdiger Hohls, Professor an der Berliner Humboldt-Universität und Koordinator der Redaktion, seine Ansicht mit, dass es sich bei dem „verbotenen Halbsatz“ tatsächlich um eine „nicht zutreffende Tatsachenbehauptung handelt.“ […] Vor dem Hintergrund dieser Bewertung ist nicht nachvollziehbar, wie Hohls und sein Redaktionskollege Michael Wildt in ihrer eigenen Rezension zu Reitzenstein, die den bei H-Soz-Kult gelöschten Text von Flachowsky ersetzt und zudem über weite Strecken paraphrasiert, am Ende schreiben können: „Nach unserer Einschätzung entbehrt Reitzensteins gerichtliches Vorgehen gegen den Rezensenten jeder wissenschaftlichen Grundlage.“ […]“
In vorgenanntem Artikel zitierte Jochen Zenthöfer auch Sören Flachowsky. Die beanstandeten Worte seien misslich formuliert gewesen, heute würde er anders formulieren, räumt Flachowsky ein. Es hätte viel Schaden erspart, dies mir gegenüber anlässlich meiner vielen Bitten um Dialog und Kontakt einzuräumen und allen Beteiligten so viel Schaden zu ersparen: Es steht allerdings dann der Gedanke im Raume, ob das Gutachten von Michael Wildt dann in die Öffentlichkeit gekommen wäre und ebenfalls das Schicksal des Voreigentümers der Dienstvilla des Bundespräsidenten. Der durch jahrelange Verweigerung von akademischem Diskurs und Dialog entstandene Schaden führte letzlich zur Ehrung eines Opfers eines Regimes, das Ausgrenzung, Marginalisierung und Beschweigen zum Prinzip gemacht hatte.
Nach Enthüllung der Gedenkstele empörte sich ein Honorarprofessor – Co-Herausgeber mit Professor Michael Wildt – über das Lob eines der wichtigsten Historikers der Bundesrepublik, Professor Wolfgang Benz, für mein jüngstes Buch. Der Honorarprofessor forderte in sozialen Medien „sicherheitshalber“ meine Bücher „zu beschweigen“. Es freut mich, wenn meine Forschungsergebnisse für Menschen, die unter der Identität von Wissenschaftlern in sozialen Medien hetzen, sowie Ausgrenzung und Beschweigen statt Dialog und Diskurs als akademisches Prinzip verbreiten, als sicherheitsrelevant gesehen werden. An anderer Stelle kritisiert er nach der Stelenenthüllung, wenn man sich auf das Urteil des Landgerichts verlasse. Schließlich habe Flachowsky nur eine Meinung geäußert und sei seiner Rezensentenpflicht gefolgt, zu sagen, dass das Buch schlecht sei. Entweder ist der Co-Herausgeber von Prof. Wildt so dumm, dass er den rechtlichen Sachverhalt, die Positionierung von Sören Flachowsky und Prof. Rüdiger Hohls, sowie das Rechtsinstitut der grundgesetzlichen Meinungsfreiheit nicht zu verstehen vermag – oder er verbreitet wider besseres Wissen in bester Wutbürgermanier Unwahrheiten. Das Prinzip „mit Unwahrheiten und Dreck werfen, es wird schon was hängen bleiben“ war mir bisher nur aus anderen Milieus bekannt.
Dass auch außerhalb dieser Milieus so vorgegangen wird erstaunt mich ebenso wie Menschen, die ihre akademischen Grade dazu missbrauchen, Denunziationen bei Medien zu platzieren. Wenn solche Methoden als „gute wissenschaftliche Praxis“ von der schweigenden Mehrheit hingenommen werden, bereitet es Freude, enfant terrible zu sein. Die Geschichte und gerade die Geschichte der beiden deutschen Diktaturen zeigt, dass Ausgrenzung und Denziation die Feinde der Demokratie sind. Sie zeigt auch, ein solches Klima stets rasch Opportunisten und willige Vollstrecker hervorbringt. Es gehört zu meinen größten Fehlern in dieser Causa, ein solches Klima nicht für möglich gehalten zu haben, auch und gerade in einem Wissenschaftsbereich, der sich mit den Folgen dieses Klimas befasst. Auch hatte ich derartiges Handeln nicht vermutet im Umfeld eines Ordinarius vom Format eines Prof. Michael Wildt, dessen Forschungsergebnusse ich in der ersten Auflage von „Himmlers Forscher“ respektvoll unterstrich.
Nachdem mir bewußt geworden ist, dass es offenbar verschiedene Auffassungen von Wissenschaft gibt, von Streben nach Erkenntnis, von Bewertung von Ergebnissen unabhängig von Person oder Institution, nachdem ich meine Naivität eingestehen muss, kann ich mich Sören Flachowsky teilweise anschließen, der gegenüber einer Zeitung erklärt, seine Worte seien misslich formuliert gewesen und er würde heute anders formulieren. Heute würde auch ich nicht so vorgehen, wie im Sommer 2016. Heute würde ich nicht bei anhaltender Dialogverweigerung den juristischen Weg gehen. Ebenso würde ich nicht (statt falsche Einschätzungen sofort öffentlich zu rügen oder in sozialen Medien Opponenten auszugrenzen und lächerlich machen, wie es offenbar in Teilen der Wissenschaft üblich ist) aus Höflichkeit und Respekt Dialog erbitten und darauf hinweisen, dass ich den juristischen Weg vermeiden möchte.
Mit dem Wissen von heute, würde ich dem beruflichen und öffentlichen Druck standhalten und abwarten. Doch wer konnte damals ahnen, dass der langjährige Mitarbeiter des Gutachters über Ergebnisse aus Himmlers Forscher eine Rezension mit kühner Kritik und unwahren Tatsachen von eben jenem Gutachter prüfen und online stellen lässt – während dann vom paraphrasierenden Gutachter mit großer Geste akademische Standards beschworen werden. Wer hätte im Juni 2016 die Antwort auf die Frage gewusst, weshalb eine solch marginalisierende Rezension rund zwei Jahre nach der Veröffentlichung erfolgt – koinzident mit dem Gutachtenauftrag?
Ganz ausdrücklich verzichte ich auf eine Wertung der Motive und des Vorgehens der verschiedenen erwähnten Wissenschaftler – das überlasse ich anderen.