Im Folgenden möchte ich auf die Rezension von Dr. Sören Flachowsky, erschienen am 14.06.2016 auf H-Soz-Kult, eingehen.
Der Einfachheit halber halte ich mich an die Reihenfolge einiger ausgewählter Punkte, über die ich mit Sören Flachowsky am 20.06.2016, drei Tage nachdem ich von der Rezension erfahren hatte, einen Austausch suchte, um zu verstehen, wie er zu verschiedenen merkwürdigen darunter auch objektiv unzutreffenden, Behauptungen kam.
In der Mail schrieb ich:
„Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass ein Rezensent Dinge anders sieht als ein Autor. Dies nicht nur, um den Eindruck einer Gefälligkeitsrezension zu vermeiden, sondern auch, um seine eigene Kompetenz deutlich zu machen. Insoweit ist mein Anliegen nicht, mich zu beklagen oder gar Änderungen einzufordern in Bezug auf Sachverhalte, über die man geteilter Meinung sein kann. Denn Meinungsfreiheit ist – wie auch Wahrhaftigkeit – ein Wert.“
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In der Rezension ist zu lesen, dass der Untersuchungsgegenstand das „Ahnenerbe der SS“ sei. Dass dies nicht zutreffend ist, ließe sich im Buch deutlich formuliert feststellen – und diese Behauptung an sich ist auch nicht gravierend. Wenn jedoch der Rezensent eine Arbeit über das „Ahnenerbe“ bewertet, dessen Untersuchungsgegenstand eine parallele Einrichtung ist, so ist das für das Schlussfolgerungen und Urteile der Untersuchung nicht unerheblich.
Im vierten Absatz kritisiert der Rezensent dann auch prompt, dass sich „nur ein kleiner Teil des Buches Entstehung und Struktur des Ahnenerbes widmet“. Die Einschätzung wundert nicht. Gern hätte der Autor einige Kapitel zu diesem Thema einfügen sollen. Dies schien jedoch wenig zielführend, ist der Untersuchungsgegenstand doch nicht das Ahnenerbe, sondern eine aus diesem entstandene Paralleleinrichtung.
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Im dritten Absatz wird erstmals eine Figur verwandt, die noch mehrfach Wiederholung finden wird. Der Rezensent behauptet, einen Sachverhalt aus dem Buch wiederzugeben, um diesen dann zu kritisieren. Dies auch, wenn der behauptete Sachverhalt gar nicht im Buch zu finden ist.
Konkret wurde in der Recherchephase des Buches deutlich, dass die Literatur zum untersuchten Institut dünn und oft widersprüchlich ist. Um dem Leser einen möglichst klaren Blick auf das untersuchte Institut zu ermöglichen, wurde statt einer Literatur-Auswertung der ungleich aufwendigere Weg gewählt, alle dem Autor verfügbaren Quellen auszuwerten. Dabei war der Anspruch, den Leser zu vergewissern, alle diese verfügbaren Quellen ausgewertet zu haben. Damit soll der Leser im Umkehrschluss in die Lage versetzt werden, zu möglichst allen Sachverhalten gezielt die Quellen finden zu können. Insoweit versteht sich Himmlers Forscher als Kompendium dieser Quellen, das ausdrücklich weiterführende Forschungen ermöglicht und begrüßt. Der Rezensent hält sich nicht lange mit diesem Ansatz auf. Er urteilt: „Zu Recht verweist Reitzenstein auf Mängel in der Forschungsliteratur. Wenn er aber damit sein Vorgehen begründet, seine Untersuchung „beinahe ausschließlich aufgrund von Quellen zu erarbeiten und ein „Kompendium“ vorzulegen, „in welchem sämtliche verfügbaren Quellen Berücksichtigung“ finden (S. 9), formuliert er einen nur schwer einzulösenden Anspruch.“ Weshalb dieser Anspruch, eine solche Vielzahl von Quellen auszuwerten und zu berücksichtigen nur schwer einzulösen ist, führt er nicht weiter aus.
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Der als Kenner der Wissenschaftsgeschichte allgemein anerkannte Autor zählt zu den neuen Erkenntnissen unter anderem: „Die 1942 erfolgte Aufwertung des Ahnenerbes zum „Amt A“ im Stab des Reichsführers SS bedeutete zudem eine finanzielle Entlastung, da es nun über das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt finanziert wurde.“ Dies ist nicht nur falsch, sondern steht auch nicht im Buch. Auf S. 267 ff. ist ausgeführt, dass das Ahnenerbe ab 1942 de jure zwei Mal existierte – einmal weiterhin als rechtlich unabhängiger Verein und einmal als Amt A im Hauptamt Persönlicher Stab Reichsführer SS. Letzterer war praktisch eine Untergliederung der NSDAP. Ahnenerbe-Geschäftsführer Wolfram Sievers war es so gelungen, den größeren Teil seines stets knappen Budgets auf die NSDAP abzuwälzen. Das Entomologische Institut und später auch das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung, in die ersteres später inkorporiert wurde, wurden zudem ebenfalls komplett von der Waffen-SS finanziert und somit vom Reich. Der Verein Ahnenerbe bezog seine Finanzierung jedoch weiterhin über die Ahnenerbe-Stiftung. Der voraussehbare Einwand, dass das Geld vom Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt überwiesen wurde, ist nicht belastbar: Da das Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt die Mittel für die beiden Institute nicht aus eigenem Etat finanzierte, sondern für das Reich verwaltete, ist es nicht Finanzier.
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Im fünften Absatz wird dem Autor vorgehalten, er blende aus, dass Sievers kaum andere Alternativen in der Wehrforschung offen gestanden hätten, als Wehrmedizin, da alle anderen Gebiete von den etablierten Einrichtungen bereits besetzt waren.
Diese Einschätzung verblüfft. Zudem wiederholt sich hier die vorgenannte Figur: Der Rezensent unterstellt einen Sachverhalt, den es so im Buch gar nicht gibt und kritisiert dann den Autor für diesen Sachverhalt: Denn von den vielen Abteilungen des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung haben ja eben nur zwei Wehrmedizinforschung betrieben: Abteilung Hirt und Abteilung Rascher/Plötner. Die Forschungen über ölführende Pflanzen, Steppenponyforschung, Grenz- und Auslandswissenschaften, etc. sind kaum unter Wehr-MEDIZIN zu subsummieren, auch nicht unter WEHR-Medizin – sie sind schlicht einige jene Alternativen in der Wehrforschung die Sievers nach Auffassung des Rezensenten nicht hat ergreifen können. Im Übrigen waren die wehrmedizinischen Forschungen an der Militärärztlichen Akademie erheblich etablierter und umfangreicher als Sievers es mit seinen eigenen Möglichkeiten je hätte realisieren können. Gerade die nach der Medizinforschung gegründeten Abteilungen, wie die Mathematische sowie die geplanten Physikalischen und Chemischen Abteilungen zeigen, dass Sievers nicht bloß die Krümel aufhob, die vom Tisch der Etablierten gefallen waren, sondern – letztlich ohne Erfolge – sich in Richtung Kern der Wehrforschung bewegen wollte.
Insofern hat der Autor nicht „ausgeblendet“, sondern deutlich gezeigt, dass Sievers einen Schwerpunkt auf einem ihm zunächst wohlfeil scheinenden Gebiet setzte, aber dem Grunde nach das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung in jedes vermeintliche Vakuum hinein ausbauen wollte – dies wird im Fazit deutlich benannt.
Dem ist noch hinzuzufügen, dass diese Bemerkung eine bemerkenswerte Sicht auf die Funktionsweisen des Regimes offenbart: Ein Forschungsfeld ist von einer etablierten Einrichtung besetzt, also ist es für ein anderes Institut sinnlos, möglicherweise unmöglich, ebenfalls auf diesem Feld zu forschen? Es hat wohl nie eine Zeit in Deutschland gegeben, in der derart viele Parallelentwicklungen- und Beauftragte koexistierten. Die entsprechende Literatur ist im Buch explizit zitiert. Die gewählten Forschungsfelder Sievers‘ demonstrieren die Qualität des Urteils des Rezensenten: Selbst innerhalb der SS war beispielsweise für die Medizinforschung der Reichsarzt-SS zuständig. Dieser versuchte – wie im Buch immer wieder beschrieben – zu verhindern, dass Sievers das Forschungsfeld der Wehrmedizin bearbeitet. Dies war aber – wie gezeigt – erfolglos. Die Vorstellung, dass SS-Standartenführer Sievers als Reichsgeschäftsführer des Ahnenerbes ein Forschungsfeld nicht wählen kann, weil schon andere „etablierte“ Einrichtungen dazu forschen, ist vorsichtig ausgedrückt originell.
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Eine bemerkenswerte Einschätzung bildet der Satz: „…überzeichnet Reitzenstein die Bedeutung des Ahnenerbes, wenn er schreibt: dass ‚dessen Ideologisierung zur Radikalisierung einer ganzen Generation‘ beigetragen habe (S. 10).“
Zu den ersten Wirtschaftsbetrieben der SS zählte der Verlag „Nordland“, dessen Geschäftsführer der gelernte Verlagskaufmann und Ahnenerbe-Geschäftsführer Wolfram Sievers wurde. Er baute das Ahnenerbe zu einer Art völkischem Think-Tank aus, dessen Ergebnisse über zahlreiche Publikationskanäle verbreitet wurden. Dabei seien beispielhaft nur die unzähligen Publikationen des Ahnenerbe-Stiftungs-Verlages genannt, wie auch die langjährig in hoher Auflage publizierte Reihe „Germanien. Monatshefte für Vorgeschichte zur Erkenntnis deutschen Wesens“, vor allem aber die Beiträge des Ahnenerbes für die Zeitschrift „Das Schwarze Korps. Zeitung der Schutzstaffeln der NSDAP.“ Jeder SS-Angehörige war verpflichtet diese Wochenzeitung zu lesen. Das bis zuletzt mit über einer halben Million Exemplare pro Woche gedruckte Magazin beinhaltete kaum verbrämten Rassismus und Hetze. Es wurde gelesen von den Wachmannschaften der Konzentrationslager, die Millionen Unschuldige ermordeten. Es wurde gelesen von den Angehörigen der Einsatzgruppen, die einen radikalen Vernichtungskrieg führten. Es war aber auch – wie beinahe alle Publikationen auch des Ahnenerbes – frei verkäuflich. Es dürften Millionen Deutscher der auf der vom Rezensenten erwähnten Seite 10 des Buches geschilderten „Generation des Unbedingten“ gewesen sein, die die Publikationen des Ahnenerbes lasen. Sie lernten die vom Ahnenerbe als „wissenschaftliche Erkenntnisse“ verbreiteten Thesen der Überlegenheit der arischen Rasse, der Minderwertigkeit der Juden oder der Rassementalität der Gegner an der Front. „Wissenschaftliche Untersuchungen“ zur Rasseverwandtschaft zwischen Juden und afrikanischen Hottentotten, „wissenschaftlich bewiesen“ anhand des „Fettsteißes“ der Frauen dieser Gruppen oder das Forschungsprojekt „Rassen im Kampf“, das bewies, Angehörige welcher Volksgruppe ihrem Wesen nach in welche Waffengattungen gehörten – die Zahl rassistischer Radikalisierungs-Literatur, die für diese Generation vom Ahnenerbe produziert wurde ist riesig. Es ist unbestreitbar, dass die vom Vorgesetzten des Rezensenten, Michael Wildt, definierte „Generation des Unbedingten“ völkisch radikalisiert war. Ebenso ist unbestreitbar, dass die Forschungen und Publikationen des Ahnenerbe einen der Beiträge zu dieser Radikalisierung geleistet haben.
Der Rezensent bestreitet dies dennoch.
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Sören Flachowsky gibt sich auch beim Finden weiterer Gravamina überzeugt: „Sievers war auch kein ‚weit über das Ahnenerbe hinaus mächtiger Wissenschaftsmanager‘“ (S. 41).
Dem ist eine Einschätzung aus der Publikation eines ausgewiesenen Experten für die Wissenschaftsgeschichte des Nationalsozialismus entgegenzusetzen. In der Deutschen Biographie heißt es zu Wolfram Sievers: „Mit Hilfe seiner zahlreichen Funktionen verstand es S., das „Ahnenerbe“ zu einer weit verzweigten Organisation mit über vierzig wissenschaftlichen Abteilungen auszubauen, und der SS auf diese Weise Einfluß im NS-Forschungsbetrieb zu sichern.“
Autor dieser Feststellung, dass Sievers‘ Einfluss über die SS hinaus reichte, auch auf den SS-Forschungsbetrieb, ist Sören Flachowsky.
Dieser urteilt auch: „S. verfügte über enge Beziehungen zum Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Rudolf Mentzel (1900–87), der ihn 1943 als Stellvertreter in den „Geschäftsführenden Beirat“ des Reichsforschungsrates berief.“
In seiner Rezension befindet Flachowsky hingegen: „Die Ernennung Sievers‘ zum „Vize-Chef des Reichsforschungsrates“ war vielmehr ein Zugeständnis des Reichserziehungsministeriums an Himmler, um die Position Mentzels im RFR abzusichern, dessen eigene Machtstellung zwischenzeitlich zur Disposition stand. Tatsächlich war das Ahnenerbe von der Gunst Mentzels abhängig, der Himmlers Forschungsgemeinschaft und damit auch Sievers zur Absicherung seiner eigenen Machtstellung (be-)nutzte. Reitzenstein konstatiert selbst, dass Sievers lediglich „im Vorzimmer der Macht“ gesessen habe (S. 51).
Dies ist schlicht falsch. Der Autor konstatiert dies nicht selbst auf S. 51: Er zitiert auf Seite 51 diese Einschätzung aus dem einschlägigen Werk Michael Katers.
Weshalb die im Reichsforschungsrat zur Disposition stehende Machtstellung des Ministerialdirektors im Reichswissenschaftsministeriums, SS-Brigadeführers Mentzel, durch ein Zugeständnis dergestalt abgewendet wurde, dass der SS-Standartenführers Sievers zu seinem Vertreter berufen wurde, führt der Rezensent leider nicht aus. Gleiches gilt für die Begründung der Behauptung, dass das Ahnenerbe unter seinem Präsidenten Reichsführer-SS Heinrich Himmler von der Gunst des SS-Brigadeführers Mentzel abhängig gewesen sei. Er hatte in seinem von mir geschätzten Buch „Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat“ zwar Aussagen zur Finanzierung des Ahnenerbes durch den Reichsforschungsrat nach Kriegsausbruch publiziert. Diese wurden auf Seite 267 des Buches durch die Quellenlage korrigiert. Im Wirtschaftsjahr 1939/1940 trug der Reichsforschungsrat zu rund 29% zum Etat des Ahnenerbes bei. Dies mag man als Abhängigkeit sehen. Bei näherer Betrachtung von Sievers‘ Management des Ahnenerbes darf jedoch angenommen werden, dass eine plötzliche Streichung dieser Mittel die Existenz des Ahnenerbes beendet hätten.
Auch in der Sache ist das Urteil des Rezensenten ebenfalls nicht stichhaltig. Die Gesamtschau der Quellen, insbesondere Sievers‘ Diensttagebuch zeigt, dass dieser einige Monate nach seiner Berufung in den Reichsforschungsrat in seinem dortigen Büro erhebliche Quantitäten seines gesamten Arbeitspensums erledigte. Hinzu tritt die Tatsache, dass Sievers, wie auf S. 304 dargelegt, von Wilhelm Canaris zum Abwehrbeauftragen des Reichsforschungsrates bestellt wurde. Damit hatte Sievers Zugang zu sämtlichen Geheimakten. Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass diese wichtige Rolle einem bloßen Statisten zugefallen wäre. Auf S. 260 im Buch wird geschildert, wie Sievers im Reichsforschungsrat ein Nachwuchsamt zur Zusammenfassung der besten Nachwuchswissenschaftler initiierte und zum stellvertretenden Chef avancierte. Dieser Einfluss auf die knappen Personalressourcen von Spezialisten, die im Wissenschaftsbetrieb eingesetzt werden konnten, korrespondieren mit den Aktivitäten Sievers‘ im Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung. Nach der gegen Kriegsende gegründeten Mathematischen Abteilung sollten noch eine Chemische und eine Physikalische Abteilung folgen. Dort sollten – wie bereits in der Mathematischen Abteilung – Auftragsforschung für die Wehrindustrie geleistet werden. Diese Vorhaben bedurften jedoch vielversprechender Nachwuchskräfte, die Sievers durch seinen Überblick und seine Verbindungen beispielsweise in Heinz Boseck für die Mathematische Abteilung fand.
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Der Rezensent hält fest: „Die Ergebnisse der Forschungen waren mehr als bescheiden und wurden namentlich im Falle von Hirt, Rascher, Bickenbach und Haagen – allesamt Aushängeschilder des Instituts – mit verbrecherischen Menschenversuchen erzielt.“ Dabei übersieht der Rezensent, dass Bickenbach und Haagen keinesfalls „Aushängeschilder“ des Instituts waren. Beide waren nicht „Mitarbeiter“ des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung wie etwa Rascher und Hirt. Im Buch wird dazu detailliert ausgeführt. Beide waren Luftwaffenärzte, die im Auftrage der Luftwaffe forschten. Die für die Humanversuche erforderlichen Häftlinge erhielten sie über Sievers, der sich im Falle positiver Ergebnisse Renommee erhoffte, und der mit Himmlers Blanko-Befehl für Hirt den Luftwaffenmedizinern den Zugang zu Häftlingen und der Forschungsstation im KZ Natzweiler zu öffnen vermochte. Insbesondere auf Seite 156 wird exemplarisch anhand der ersten Fußnote der Publikation von Haagen hervorgehoben, wie gering die Rolle Himmlers und des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung für Haagen war.
Dem Rezensenten ist zudem dahingehend zu widersprechen, dass es keine „bescheidenen Ergebnisse“ des Instituts gab – sondern schlichtweg keine. Der einzige Erfolg, die Entwicklung des in sehr überschaubaren, kleineren medizinischen Anwendungen wirksame Hämostyptikums „Polygal“ konnte nicht wie geplant verwertet werden, da Oswald Pohl Sievers unter Druck setzte, die geplante Serienproduktion der Deutschen Heilmittel GmbH zu übertragen (S. 226 ff.). Sören Flachowsky läst dieses einzige greifbare Ergebnis des Instituts unerwähnt, möglicherweise, weil die zugehörigen Versuche nur sehr bedingt als verbrecherisch qualifiziert werden können, wie das Buch auf Seite 223 zeigt.
Bis hierhin handelte es sich um eine von Missverständnissen, Fehlern und Widersprechen eigener Forschungsergebnissen getragenen Bewertung Flachowskys. Kenner der Materie erkennen diese rasch und so fallen sie eher auf den Rezensenten als den Rezensierten zurück. All das mag im Rahmen von Rezension und Replik, dem üblichen akademischen Diskurs diskutiert werden. So lange die Quellen eine eindeutige Beurteilung zulassen, ist der öffentliche Erregungsfaktor über solche Details, die nur für sehr wenige Menschen im deutschsprachigen Veröffentlichungsraum des Buches relevant sind, wohl eher recht niedrig.
In wissenschaftlicher und rechtlicher Hinsicht misslich sind hingegen folgende Einschätzungen in der Rezension von Sören Flachowsky:
a) „Bei der Betrachtung der Abteilungen von August Hirt und Sigmund Rascher verzichtet Reitzenstein mit Blick auf die Forschungslage auf eine Darstellung der Verbrechen, was aber angebracht gewesen wäre.“
Kein Zweifel – schon die Empathie mit den Opfern macht es angebracht, diese grausamen Verbrechen des NS-Regimes ans Licht zu holen: In Himmlers Forscher ist nachzulesen, dass die beiden genannten Kapitel beinahe ausschließlich die Schilderung der grausamen und unmenschlichen Verbrechen zum Gegenstand haben:
Im Kapitel „Rascher“ mit 43 Seiten wurden Verbrechen Raschers auf mehr als 32 Seiten erwähnt und dargestellt, darunter die luftfahrtmedizinischen Versuche, der mutmaßliche Mord an seiner Haushaltshilfe, Betrug, versuchte Körperverletzung durch Typhus-Serum-Herstellung und -anwendung, Missbrauch von Häftlingen als Versuchspersonen für Blutstillmittel, mutmaßliche Bestechlichkeit und mehrfache Kindsentführungen.
Im Kapitel „Hirt“ – mit 64 Seiten der Schwerpunkt des Buches – wurden dessen Verbrechen auf 61 Seiten erwähnt und dargestellt, darunter die Experimente an Wehrmachtsfähnrichen, die Versuche mit Lost an Häftlingen, das Verbrechen der „Straßburger Schädelsammlung“, sowie die Unterstützung der Phosgen-Versuchen von Otto Bickenbach und der Fleckfieber-Versuche von Eugen Haagen, die beide entgegen der Auskunft des Rezensenten keine Mitarbeiter des Instituts wie Hirt und Rascher waren.
In diesen beiden Kapiteln werden jene beiden Abteilungen vorgestellt, in denen die Humanversuche im Institut stattfanden. In ihnen werden die Leiden der Opfer spürbar, was die Grundlage der Einschätzung im Fazit des Buches ist: Der unzweifelhaft verbrecherische Charakter des untersuchten Instituts. Sören Flachowsky versichert hingegen den Lesern seiner Rezension, dass in Himmlers Forscher auf die Darstellung der Verbrechen verzichtet wurde, obschon deren Darstellung aber angebracht gewesen wäre.
b) Der Rezensent kritisiert auch folgendes Forschungsergebnis als „problematisch“ – und nicht nur Historiker verstehen, was im Kontext mit NS-Verbrechen die Zuschreibung „problematisch“ meint:
„Es wird gezeigt, dass Rascher von Beginn an letale Versuche anstrebte, Sievers jedoch nie von sich aus derartige Versuchsanordnungen forderte. Daraus ergibt sich, dass Sievers selbst ‚nur‘ an zwei Stellen von sich heraus potentiell todbringende Maßnahmen forciert hat: Bezüglich der Lost-Versuche von Hirt und bezüglich der sogenannten ‚Jüdischen Skelettsammlung‘. (S. 61)“
Er weist darauf hin, dass dies unrichtig sei, da ja selbst im Buch belegt sei, bei welchen weiteren Verbrechen Sievers Mittäter war und dass er dafür hingerichtet wurde.
Nun ist es aber rechtlich ein deutlicher Unterschied, ob jemand sich ein Verbrechen ausdenkt und dieses dann forciert umsetzt oder ob jemand Mittäter bei Verbrechen anderer ist. Aus genau diesem Grunde wird im Buch differenziert, inwieweit Wolfram Sievers als Täter „letale Humanversuche forcierte, koordinierte und finanzierte (S. 89f., 92, 120f., 122f., 129f., 150, 155f.) und sogar einigen Versuchen persönlich beiwohnte“ und inwieweit er „selbst ‚nur‘ an zwei Stellen von sich heraus potentiell todbringende Maßnahmen forciert hat.“. Ergänzt wird das im Buch um den Hinweis, dass Sievers Alternativen zum Humanversuch – um den Gegensatz zu Rascher zu zeigen – immer akzeptiert hat (S. 223). Ausdrücklich sei in diesem Zusammenhang festgehalten, dass dieses Ergebnis die Befunde von Ina Schmidt aus dem Jahre 2004 stützt.
Wenn der Rezensionsleser zu dem Eindruck gelangen kann, dass der Autor NS-Verbrecher „problematisch“ relativiere und gleichzeitig die Leiden der Opfer gänzlich unerwähnt lässt, ist das nicht immer folgenlos. Insbesondere, wenn der Rezensent im letzten Abschnitt dem Leser seine Erkenntnis vermittelt, dass der Autor lediglich „ungewollt“ auch zu korrekten Ergebnissen gekommen sei:
c) „Ungewollt belegt das Buch „Himmlers Forscher“ die in ihrer wissenschaftspolitischen und fachlichen Bedeutung stark limitierte Wirkung des „SS-Ahnenerbes“ im NS-Wissenschaftsbetrieb“
Man kann dieses Urteil des Rezensenten für wissenschaftlich bemerkenswert halten – hatte er doch selbst, wie oben gezeigt, das Gegenteil publiziert und Einfluss auf den NS-Forschungsbetrieb bescheinigt. Die Tatsache jedoch, dass der Rezensent vermittelt, er wisse, welche Ergebnisse Autor und Buch gewollt haben und welche nur ungewollt richtig sind, wirkt so oder so absurd.
Besonders bemerkenswert ist neben den inhaltlichen Aspekten jedoch, dass Sören Flachowsky, wie mir glaubhaft vermittelt wurde, rein zufällig mein Buch rezensierte, während Prof. Wildt parallel als Gutachter des im Buch dargelegten Sachverhaltes tätig war. Es ist erstaunlich, dass Prof. Wildt in Anbetracht des offenkundig drohenden Interessenkonfliktes, die erkennbar tendenziöse und mit rechtswidrigen Behauptungen versehene Rezension dennoch online stellte.